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In Aarau existierten in historischer Zeit keine Handwerkerzünfte. Und die einstige Berner Munizipalstadt war für fasnächtliche Vergnügungen ein steiniger Boden. Trotzdem müssten, so sinnierte der junge Chirurg am Kantonsspital, Dr. Eugen Bircher, auf einem Ausritt an einem Juniabend 1921, „ein paar Menschengenossen zu finden sein, deren Herz und Sinn ich auch einmal
vom Getue des Alltags freimachen konnten, vom Gehetze des Berufes, vom heuchlerischen, leeren Gerede der Allerweltsalltags-
menschen“, dachte sich der spätere Divisionär und Nationalrat. Gesinnungsfreunde, die „bereit waren, die Maske abzureissen, und die Lust verspürten, sich einmal frei zu geben, ohne Gefahr laufen zu müssen, dass ihnen jedes Wort verdreht und jede Äusserung in kleinliches und böswilliges Gerede hineingezogen würde“.

Für seine Vision scharte Bircher einen harten Kern von Aarauern um sich, die seinen Vorstellungen entsprachen: Max Bär, Bürstenbinder, Gustav Hoch, Samenhändler, Emil Vogel, Fabrikant, und Jost Roos, Direktor der Talbahnen. Doch erste Bemühungen zur Gründung einer Zunft verliefen kläglich. Erst im zweiten Anlauf stiess ein Rundschreiben von Bircher und seiner Getreuen an 43 stadtbekannte Bürger auf das erhoffte Echo. 24 wackere Mannen nahmen schliesslich am 9. September 1922 im Speisesaal des Hotels Aarauerhof an der Gründungsversammlung teil und genehmigten das erste Zunftgesetz, bei dem man sich an die Satzungen der Gesellschaft zur Eintracht Luzern, der Honolulu-Zunft zu Solothurn (wo Eugen Bircher seine Mittelschulzeit verbracht hatte) und der jungen Hilari in Olten anlehnte. Die Wirri-Zünfter verstanden sich als solche, „die etwas Farbe in das philiströse Leben der Kleinstadt tragen wollen“, was beim braven Spiessbürgertum für Aufregung sorgte. Kopfschütteln löste unter anderem die Absicht der Zunft aus, Maskenbälle zu organisieren und die im Dornröschenschlaf dösende Aarauer Fasnacht wieder zum Leben zu erwecken.


Die Pioniere des etwas anderen Aarauer Geistes liessen sich aber durch solche Kritik nicht beirren. Bereits 1923 trug man das von Emil Wassmer geschaffene Zunftabzeichen, im gleichen Jahr folgte das Zunftzeremonial, das künftig das Innenleben bestimmte. „An Einfällen fehlte es nie“, brachte der erste Zunftschreiber Carl Günther zu Papier, offenbar war es aber nicht immer leicht, die munter sprudelnden Ideen in die Tat umzusetzen. So gab es in den stürmischen ersten Jahren mancherlei „Mauserungen“, gehörten doch zu den Ur-Zünftern mehrere Heisssporne, die für interne Stürme besorgt waren. So war auch Eugen Bircher selbst nicht unumstritten: Für die einen war er ein herausragender Truppenführer und Macher, für andere ein kompromissloser rechtsbürgerlicher Haudegen.

Zunftabzeichen gestern und heute

Einig war man sich aber, dass die Ankündigung, „ein Auge zu haben und auf ehrwürdige Sitten, Bräuche und Einrichtungen zu haben“, am Beispiel des Aarauer Bachfischet in die Tat umzusetzen sei. Der Jahrhunderte alte Brauch geriet in den struben Zeiten des Ersten Weltkriegs praktisch in Vergessenheit und erreichte 1922 einen absoluten Tiefpunkt. Die im gleichen Jahr gegründete Wirri-Zunft nahm sich der Sache an und führte dank Geschick und Beharrlichkeit den Bachfischet zu einem Höhepunkt im Aarauer Kalender. Im gleichen Sinn und Geiste spielte die Zunft auch gerne den spendablen „Götti“ für das Aarauer Kadettenkorps. Es waren auch Zünfter, die als Freischaren bis 1938 jeweils am Maienzug gegen die Kadetten in das „Manöver“ zogen und trotz grössten Bemühungen ständig zweite Sieger blieben.

Nach den ersten 25 Jahren erlangte die Wirri-Zunft ruhigere Gewässer. Den Traum vom neuen Leben für die Aarauer Fasnacht gab man auf, widmete sich dafür historischem Gedenken, pflegte die Geselligkeit und installierte jährliche Ausflüge, an denen auch die Ehefrauen herzlich willkommen waren. Eine Mitgliedschaft bleibt dem weiblichen Geschlecht allerdings bis heute verwehrt, beitreten kann nach dem Zunftgesetz nur „jeder in der Stadt Aarau und Umkreis sässige volljährige Mann“. Der heitere Kreis des Heinrich Wirri behielt seine Attraktivität trotzdem, 1992 musste man die Zahl der Zünfter auf 88 begrenzen, in den letzten Jahren hat eine eigentliche Blutauffrischung stattgefunden.

Für die Erledigung der Geschäfte sorgt seit der Gründung der Zunftrat, der aus dem Zunftmeister, dem Statthalter, dem Säckelmeister, dem Zunftschreiber und dem Pritschenmeister besteht. Dieser betreut das Pritschenvolk, den hoffnungsvollen und meistens aufmüpfigen Zunft-nachwuchs, der für die Unterhaltung zuständig ist. Zur General-versammlung trifft sich die Corona jeweils anfangs März, die Traktanden werden im Rahmen des „Fischmöhli“ erledigt, das seinen Namen von den traditionellen Forellen auf den Tellern hat.

Herzstück des zünftischen Lebens ist und bleibt das Bott. Jenes im Frühling, um Sankt Georgen, ist der "höchste Feiertag" der Zunft und erinnert an das Jahr 1415, als Aarau am Samstag vor St. Georg "als freie und unabhängige Reichsstadt zu Bern und Solothurn trat". Beschlossen wird das Zünfterjahr mit dem "Grossen Herbstbott" Ende November. Zu diesem Anlass lädt die Heinerich-Wirri-Zunft nach alter Tradition Gäste ein. In erster Linie sind es Vertreter der befreundeten Zünfte, nämlich der Hilari-Brüder aus Olten, der Schiffleuten aus Zürich, der Narro-Alt-Fischerzunft zu Laufenburg seit 1981 auch der Aarauer Zunft am Stadtbach, die auf der Stube willkommen sind und mehr oder minder originelle Grussadressen und Geschenke überbringen.

Zum Ablauf des Botts gehört zwingend eine Historia. Das Zunftgesetz lässt darüber keine Zweifel offen: "Bei den festlichen Anlässen im Kreise der Zunft soll nach Anordnung des Zunftrates aus Chronik und Geschichte der Stadt und der weiteren Heimat ein Kapitel vorgetragen werden, nicht weniger als eine Viertelstunde, nicht mehr als eine halbe Stunde anzuhören", heisst es in Artikel 17.

Die kleinbürgerliche Aarauer Gesellschaft betrachtete die Zunft und natürlich die Zünfter anfänglich skeptisch bis despektierlich. "Heinrich Wirri, das edle Blut, das wenig gewinnt und viel vertut", hiess es bald einmal. Doch das änderte sich 1932, als erstmals ein Zünfter als Aarauer Stadtammann gewählt wurde. Mit Hermann Rauber begann eine bis dato praktisch nicht mehr unterbrochene Serie von "zünftigen" Stadtoberhäuptern. Auf Rauber folgte Fridolin Laager (im Amt von 1938 bis 1947), Erich Zimmerlin (1947 bis 1961), Willy Urech (1962 bis 1973), Markus Meyer (1974 bis 1987) und Marcel Guignard (1988-2013). Die Zünfter Bruno Hunziker, Kurt Lareida und Nationalrat Silvio Bircher stellten sich zudem als Regierungsräte in den Dienst der Demokratie und der res publica, Willy Urech und Bruno Hunziker vertraten zudem den Aargau ehrenvoll im Ständerat.
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